Warum ich einen schwulen Engländer liebe


Bild: (cc) marriedinstyle.uk
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Ein Mensch hat im Laufe seines Lebens nur sehr wenige immerwährende Freundschaften, bei denen der Kontakt über Jahrzehnte hinweg nicht abreißt und bei denen man sich wirklich nie gegenseitig auf den Wecker geht. Einen solchen Freund habe ich seit knapp 25 Jahren, und ich liebe ihn innig und aus tiefster Seele. Sein Name ist Toby und sehr zu meinem Bedauern lebt er in England. Ich vermisse es sehr, ihn regelmäßig zu sehen und in meine Arme zu schließen. Im Schnitt telefonieren wir aber zwei Mal die Woche und recht regelmäßig trudeln bei mir Päckchen von ihm ein, in dem sich meist nur eines befindet: ein Sechserpack Cadburry's Crunchies nämlich - der weltbeste Schokoriegel. Im Gegenzug schicke ich immer mal wieder Kunst.

 

Es begann alles im Jahr 1991, als ich eine Sprachreise nach Großbritannien machte, um mein Englisch mal wieder aufzupolieren, das sich nach vielen Jahren in Deutschland deutlich verschlechtert hatte. Unsere Tutoren waren Studenten, und meiner war Toby. Zwischen uns kickte es beinahe augenblicklich, und so saßen wir oft gemeinsam während der Pausen auf dem Hof der Schule, in der das Ganze stattfand. Ich war 15 und er 22 - und hätte er nicht schon damals mutig und offen dazu gestanden, dass er schwul ist, hätte das sicherlich zu einigem Ärger geführt. So aber nahm niemand Anstoß an uns.

 

Ab der zweiten Woche trafen wir uns auch in unserer Freizeit. Wir gingen eislaufen und schmissen uns im Kino über "Wayne's World" weg. Er erwischte mich, als ich mich illegal in einem Pub aufhielt, die man in England erst ab 21 betreten durfte. Toby nahm es mit Humor, bestand aber dennoch darauf, mich zum Haus meiner Gastfamilie zu bringen. Auf dem Weg dahin endeten wir aber in einem Park, in dem wir bis Sonnenaufgang quatschten. Dann brachte er mich doch nach Hause und half mir, in das Fenster zurück zu krabbeln, dass ich für meinen nächtlichen Ausflug angelehnt gelassen hatte. Verraten hat er mich nie, weder damals noch in späteren Jahren, wenn ich mal wieder Mist gebaut hatte. 

 

Am Ende dieser Reise war ich fast sicher, dass ich meinen neugewonnenen Freund nicht wiedersehen würde. Ich sollte mich täuschen. Es begann eine intensive Brieffreundschaft und ein Jahr später befand ich mich wieder auf der Fähre nach Großbritannien, um noch einmal an dem Sprachkurs teilzunehmen. Toby war wieder mein Tutor, und in diesem Urlaub klebten wir förmlich aneinander. Bis heute kann ich nicht wirklich sagen, was er eigentlich an diesem aufgeregten kleinen Mädchen fand, das ich damals war.

 

Aber offenbar übte ich irgendeine Anziehungskraft auf ihn aus, denn er war immer da. Als ich einmal mit ein paar englischen Teenagern fast in eine Schlägerei geriet, war er als Beschützer an meiner Seite. Als ich mir in einer Disco beim Pogo tanzen eine Rippe brach, war er derjenige, der mich in die Notaufnahme brachte. Später bestand ich darauf, mitsamt Streckverband zurück in die Disco zu gehen - die körperliche Konstitution einer 16-jährigen. Heute undenkbar. Würde ich mir jetzt eine Rippe brechen, käme ich mindestens vier volle Wochen aus dem Jammern nicht raus. Zu Tobys Ehrenrettung muss ich sagen, dass er versucht hat, mich davon zu überzeugen, im Krankenhaus zu bleiben. Als das nichts fruchtete, kam er eben mit mir, setzte mich auf einen Barhocker und blieb den Rest der Nacht direkt neben mir, schirmte mich vor allzu wilden Tänzern ab und erkundigte sich alle Viertelstunde nach meinem Befinden.

 

Im selben Sommer zog mein englischer Freund nach Koblenz, um dort weiter zu studieren. Und so fanden wir uns oft in Zügen zwischen seiner Stadt und meiner, um einander zu besuchen. Meine Eltern, die diese Freundschaft recht misstrauisch beäugt hatten, lernten ihn kennen und lieben, weil sie erkannten, dass Toby immer nur mein Bestes wollte. Und da sie von meiner wilden Seite ahnten - auch wenn ich sie zu Hause nicht wirklich raushängen ließ - waren sie froh, mich mit jemandem unterwegs zu wissen, der sich immer wieder als wahrer Behüter herausstellte und auf mich achtete.

 

Mit dem Examen in der Tasche ging Toby zurück nach England und kam nach Deutschland nur noch auf Besuch. Ich hätte ihn gern hier behalten, aber manchmal bekommt man eben nicht, was man will. Außerdem führt er dort ein Leben, das ich ihm um keinen Preis hätte vorenthalten wollen. Er ist nämlich in mehr als einer Hinsicht äußerst unkonventionell, lebt seit gut zwanzig Jahren mit gleich zwei Männern namens Rob und Jaime in einer wundervollen Liebesbeziehung. Dieses Trio ist mit nichts vergleichbar, was man in solchen Dreiecksbeziehungen vermutet. Sie lieben sich alle gegenseitig sehr, halten durch dick und dünn zusammen und haben in all der Zeit nur ein Mal ein kleines Problem mit Eifersucht aushalten müssen - und das betraf nicht etwa einen der drei, sondern mich. Was vermutlich daran liegt, dass Toby bis heute immer wieder sagt, dass er mich an meinem achtzehnten Geburtstag geheiratet hätte, wäre er nicht schwul.

 

Aber mein geliebter Freund wäre nicht er selbst, hätte er nicht auf Biegen und Brechen zu mir gehalten und erfolgreich versucht, seinen Männern klar zu machen, dass wir von jeher wirklich nur Freunde waren. Inzwischen hat sich das natürlich komplett eingependelt, die drei sind meine Clover Boys geworden - weil sie wie die Blätter eines Kleeblatts einfach zusammen gehören. Sie besuchten mich einige Mal gemeinsam und derweil sind Jaime und Rob sind nun auch meine Freunde, vergessen nie, mir Grüße ausrichten zu lassen oder mir an meinem Geburtstag und zu Weihnachten mit Toby ein Ständchen zu bringen.

 

So viel ist passiert in all den Jahren. Wir verloren einige unserer Elternteile. Die Jungs eröffneten in Liverpool eine Kunstgalerie und gingen damit leider baden. Ich habe geheiratet und wurde wieder geschieden. Die Jungs haben wegen ihres ungewöhnlichen Lebensstils einige Repressalien ertragen müssen. Ich entdeckte den Lago Maggiore für mich und verwarf meinen Plan, eines Tages nach England zu gehen. Will sagen, das Leben ging seinen Gang und die Dinge änderten sich stetig. Die Seelenverwandtschaft zu Toby, die Freundschaft zu seinen Männern und unsere Zuneigung füreinander aber blieben über alle guten und schlechten Ereignisse hinweg bestehen - ich darf mir ihrer Liebe immer sicher sein und empfinde es als ein außerordentliches Privileg noch immer zu ihrem Leben zu gehören.



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