Falsche Heldenverehrung


Heldenpos(s)e
Heldenpos(s)e

Heldenverehrung ist eine zutiefst menschliche Sache. Man braucht andere, an denen man sich orientieren kann. In meinem Fall sind die meisten meiner Helden Personen, die ich kenne oder kannte. Meine Eltern allen voran. Mein Deutschlehrer vom Gymnasium. Die frühere Nachbarin meiner Großeltern. Alles Menschen mit unvermeidlichen Fehlern - aber auch ausgestattet mit einem gewissen moralischen Kompass. Sie lebten mir Dinge vor wie Loyalität und Treue, dass man sich an Kindern nicht zu vergehen hat, dass Rassismus etwas Schreckliches ist, dass man im Rahmen seiner Möglichkeiten anderen helfen sollte, dass Anstand höchst wichtig ist.

 

In der Welt der Reichen und Berühmten habe ich nur wenige Vorbilder - George Carlin und Kevin Smith nämlich. Unter Vorbehalt allerdings, denn über deren Privatleben bin ich natürlich nicht umfassend informiert, und immerhin betrachte ich nicht nur als wichtig, was man öffentlich sagt. Wie man sich hinter der Fassade verhält, ist ausschlaggebend. Diese zwei sind anscheinend Menschen (gewesen), die auch über eine gewisse Moral verfüg(t)en und außerdem über eine ausgesprochen hohe Intelligenz und ein soziales Wesen. Ich gebe zu, Carlins Drogenkonsum und Smiths Jay & Silent Bob Filme lassen das nicht unbedingt auf Anhieb erkennen, aber aufgrund von allem, was ich über diese beiden sonst weiß, bin ich bereit, darüber großzügig hinweg zu sehen.

 

Ich nehme an, dass eine gewisse Arroganz mitschwingt, wenn ich behaupte, dass nur wenige wissen, nach welchen Gesichtspunkten man sich seine Helden aussuchen sollte. Aber dank sozialer Medien ist es eben auch immer wieder offensichtlich, was soll ich also sonst sagen? Beinahe täglich sehe ich beispielsweise Zitate von Charlie Chaplin auf meiner Startseite bei facebook. Ja, "Der große Diktator" ist ein hervorragender Film mit einer wundervollen Botschaft. Ja, Chaplin brachte Millionen Menschen zum Lachen. Und ja, Chaplin war ein Schwein. Ein Mann, der kleine Mädchen verführte - die Jüngste unter ihnen war 13. Der die 15-jährige Lita Grey schwängerte und sich anschließend die Erlaubnis zur Heirat von ihren Eltern erkaufte - um einem Strafverfahren zu entgehen, wohlgemerkt. Nicht, weil er so wahnsinnig in Liebe zu diesem Mädchen aufging. Er war da übrigens bereits 35, nicht etwa ein ganz junger Erwachsener von 19 oder 20. Später heiratete er die 16-jährige Mildred Harris, aus ganz ähnlichen Gründen. Seine dritte Ehefrau Paulette Goddard, Hauptdarstellerin in "Der große Diktator", war immerhin 26, als er sie ehelichte. Dagegen ist nichts zu sagen. Die vierte allerdings, Oona O'Neill, heiratete er am ihrem 18ten Geburtstag. Da war er selbst schon stattliche 54 Jahre alt.

 

Über all diese Ehen ist bekannt, dass Chaplin seine Frauen schlecht behandelte. Er schlug sie, bedrohte sie mit dem Tode und vögelte natürlich freimütig weiterhin nebenbei kleine Mädchen. In meinen Augen geht ein solches Verhalten über "normale" menschliche Schwächen hinaus. Und es ekelt mich an. Da reicht ein Anti-Hitler-Film nicht aus, um das verbogene Bild wieder gerade zu rücken.

 

Und wo wir gerade über Hitler sprechen, muss ich auch einen weiteren fälschlich als verehrten Helden verehrten Menschen erwähnen, der bis zu seinem Tod mit 92 Jahren und darüber hinaus von Millionen bewundert wurde. Heinz Rühmann nämlich. Auch er ein kleingewachsener und niedlich aussehender Filmstar. Leider auch einer, der zugunsten bestimmter Privilegien mit den Nazis kooperierte. Ja, er war mit einer Jüdin verheiratet und hat sie außer Landes geschafft. Das kann man anrechnen. Er ging aber nicht mit ihr und ließ sich 1938 von ihr scheiden, als diese Ehe seiner Karriere im Wege stand. Gleichzeitig hatte er keinerlei Skrupel, sich den Herrschenden seiner Zeit anzudienen. In einer Villa am Wannsee, die er - nennen wir es günstig - einer jüdischen Witwe abkaufte, residierte er in den Kriegsjahren und unter seinen Gästen fanden sich auch regelmäßig Hermann Göring und Joseph Goebbels. Mit letzterem war er so eng befreundet, dass er für dessen Geburtstag einen kleinen Film produzierte, in dem die später von den Eltern vergifteten Kinder Goebbels die Hauptrollen spielten.

 

Man kann Rühmann in der Uniform der Wehrmacht in alten Wochenschauen sehen. Beim "Wunschkonzert für die Wehrmacht", einer Rundfunksendung, trat er auch auf - mit einer rassistisch veränderten Version des Liedes "Das kann doch einen Seemann nicht erschüttern". Er war Mitglied im "Kampfbund für deutsche Kultur", Werbeträger für das Winterhilfswerk und Propaganda-Schauspieler Nummer eins in Filmen wie "Quax, der Bruchpilot" und ja, "Die Feuerzangenbowle". Wer glaubt, das seien keine solchen Machwerke, kann ja mal Goebbels Rede vor der Reichsfilmkammer aus dem Jahr 1937 lesen. Ich zitiere: "In dem Augenblick, da eine Propaganda bewusst wird, ist sie unwirksam. Mit dem Augenblick aber, da sie als Propaganda, als Tendenz, als Haltung im Hintergrund bleibt und nur durch Haltung, durch Ablauf, durch Vorgänge, durch Kontrastierung von Menschen in Erscheinung tritt, wird sie in jeder Hinsicht wirksam."

 

Liest man dies und betrachtet dann die Paraderollen des Rühmann aus jener Zeit, erkennt man es auch. Immer der "kleine Mann", der sich kurz gegen die Gesellschaft auflehnt. Letzten Endes aber kehrt er freiwillig zu ihr zurück und ist darüber auch glücklich. Er mag ein begnadeter Unterhalter gewesen sein, dieser Mann. Aber er war auch ein Opportunist, der zum eigenen Vorteil Bücklinge vor einer tödlichen Diktatur machte. Der sich 1940 zum Deutschen Staatsschauspieler erklären ließ und dafür 40.000 Reichsmark von den Nazis entgegen nahm. Manche behaupten noch heute, er habe ja gar keine andere Wahl gehabt. Zum Glück kann man dann aber jemanden wie Marlene Dietrich ins Feld führen, die vorgemacht haben, dass es anders ging. Die allerdings stand auch noch lange nach dem Zweiten Weltkrieg bei den Deutschen als Volksverräterin in Ungnade. Dem putzigen Heinz allerdings verzieh man sein Verhalten allerspätestens, als er 1955 so niedlich "La Le Lu" sang. Er wurde sogar 40 Jahre später als "größter deutscher Schauspieler des Jahrhunderts" posthum mit der Goldenen Kamera ausgezeichnet. 

 

Ich könnte noch ewig so weiter schreiben, mir fallen noch ein Dutzend anderer Namen ein, auch aktuelle. Aber an diesen beiden Beispielen lässt sich schon alles festmachen, was ich sagen will. Bevor man jemanden zum persönlichen Helden erhebt oder ihn regelmäßig zitiert, sollte man sich ein einigermaßen realistisches Bild dieser Person machen und nicht nur deren Oberfläche betrachten. Nur weil jemand ein paar unterhaltsame Filme oder Lieder gemacht hat, die einen ansprechen, ist der Mensch dahinter nicht zwangsläufig ein Guter. Und Naivität und Verdrängung sind wahrlich keine geeigneten Berater bei der Wahl der Vorbilder.



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