Abends in Luxemburg, nachts Flucht nach Belgien


Der Fluss Alzette an den Casemates du Bock
Der Fluss Alzette an den Casemates du Bock

Vor etwa zwei Jahren hatte ich einen Auftrag, der mich gemeinsam mit einer Freundin nach Luxemburg führte, und zwar direkt in die Hauptstadt des Großherzogtums. Über Tag hatten wir reichlich zu tun und bekamen nicht all zu viel zu sehen. Außer dem unfassbaren Straßenverkehr natürlich. Wer denkt, in Paris und Rom würde aufregend Auto gefahren, war noch nie in Luxemburg. Abends wollten wir uns dann alles rund um die Casemates du Bock ansehen und uns am nächsten Tag der Stadt selbst widmen. Die Tatsache, dass wir im Heck des Kombis meiner Freundin übernachteten - den wir jetzt schon zur Bettstatt umbauten - führte zu einer erheblichen Veränderung unseres Plans. Aber dazu später mehr.

 

Beginnen wir die Geschichte an der Burg Lucilinburhuc. Sie wurde zwar erstmals im Jahr 963 erwähnt, aber erst vor rund 20 Jahren wurde zweifelsfrei bewiesen, dass sie noch älter ist und ursprünglich eine römische Militäranlage war. Im Jahr 1644 begannen unter spanischer Besetzung die Arbeiten an den Casemates du Bock, die erst 1684 durch den französichen Militär-Ingenieur Vauban beendet wurden. Hierbei handelt es sich um insgesamt 23 Kilometer an Gängen und Höhlen, die unter der Burg in den Bockfelsen geschlagen wurden und der Verteidigung dienten. Heute sind noch 17 Kilometer davon erhalten - aber abends kamen wir weder in die Räume der Burg noch in die Kasematten.

 

Festungsturm
Festungsturm

Das war nicht weiter schlimm, denn nach der langen Anfahrt der vorangegangenen Nacht und dem Arbeitstag waren wir sowieso nur darauf eingestellt, uns irgendwo ans Wasser zu setzen, dem Plätschern zu lauschen und rauchend in den Sternenhimmel zu sehen. Unterhalb von Burg und Höhlen fanden wir nach mühsamen Abstieg über alte Treppen und durch verfallene Wehrtürme hindurch einen Park. Großzügige Wiesen am Ufer der Alzette, die hier noch eilig über Stock und Stein fließt, an einer winzigen Wehr einen kleinen Wasserfall bildet und bald nach der nahe gelegenen Brücke viel langsamer ihren Weg durch die Stadt fortsetzt. Hier war es großartig. Ein Reiher stakste gemächlich durch den Fluss, die Mini-Kaskade lieferte eine beruhigende Geräuschkulisse, steil über uns ragten der Fels und die Burgmauern in den Himmel und nur hin und wieder sahen wir andere Menschen irgendwo hinter uns durch die Grünanlage schlendern.

 

Als uns kalt wurde, entschieden wir, noch die Brücke zu überqueren, auf die wir die ganze Zeit geschaut hatten - und von dort aus spiegelten sich die Lichter des Hügels und die hochherrschaftlichen Villen auf dessen Gipfel in der hier völlig glatten Oberfläche des Flusses. Um solche Anblicke zu beschreiben, muss ich mich (leider?) immer der Amateur-Philosophie bedienen: hier reflektierte sich Leben im Ursprung allen Lebens. Und brachte auf seiner Projektionsfläche zusammen, was zusammen gehört. Wir fanden nichts Aufregendes am Ende der Brücke und kehrten um. Wenn es jetzt nicht noch ein Feuerwerk gegeben hätte, wären wir auch sofort auf einen Parkplatz irgendwo außerhalb gefahren und hätten uns schlafen gelegt. Ich habe kurz überlegt, ob ich der Stadt Luxemburg mit einem Augenzwinkern ein Dankesschreiben zukommen lassen sollte, weil sie extra zu unserer Begrüßung so ein Tamtam veranstaltet haben. Aber ich war zu müde. Den Gag hebe ich mir für das nächste Spektakel auf.

 

Nicht das echte Auto aus dieser Geschichte, aber nah dran
Nicht das echte Auto aus dieser Geschichte, aber nah dran

Nach diesem kleinen Bonus wollten wir aber nun auch endlich ein wenig die Augen schließen und so begaben wir uns auf die Suche nach einem Ort für die Nachtruhe. Als wir den auf einem weitläufigen Parkplatz vermeintlich gefunden hatten, zogen wir eine mitgebrachte Plane von außen über das Heck des Wagens und wechselten in unsere Schlaf-Klamotten. Wir setzten uns für die letzte Zigarette des Abends auf die Vordersitze und kurbelten die Fenster runter, als plötzlich ein weißes Auto erschien, dessen Kennzeichen mit TU begann. Der Fahrer parkte schräg gegenüber von uns, stieg aber nicht aus. Stattdessen starrte er uns böse an, führte dann ein kurzes Telefonat und fuhr davon. 

 

Keine fünf Minuten später tauchte ein weiteres Fahrzeug auf. Dieser Fahrer fuhr gar nicht erst in eine Parklücke, als er uns wahrnahm, sondern verschwand direkt wieder. Wir waren einigermaßen aufgeschreckt, im Augenblick war gar nicht daran zu denken, uns nach hinten zu legen. Zu Recht, wie es sich erwies, denn nach einer weiteren Viertelstunde tauchte TU wieder auf. Jetzt fuhr er einige Male um uns herum, gab uns erneut seinen bösen Blick und zog wieder von dannen. Wir entschieden, den Stellplatz zu wechseln und auf dem Weg zum anderen Ende des Parkplatzes witzelten wir darüber, dass wir wohl an irgendeinen Sex-Treffpunkt geraten waren. Das Gelände war weitläufig und von Industriebrachen und Gestrüpp umgeben, das hätte also durchaus der Fall sein können. 

 

Überhastete Flucht bis nach Belgien
Überhastete Flucht bis nach Belgien

Aber ich vermute, es ging um irgendwas anderes, denn die Situation wurde noch eigenartiger. Meine Freundin war nun schon nach hinten geklettert und ich wollte ihr gerade folgen. Da hielt direkt neben der Beifahrerseite ein VW Bus. Auch dieser Fahrer blieb in seinem Wagen und stierte geradezu wütend in unseren. Ich rief meine Begleiterin zurück nach vorne, um sie zu überreden, lieber ganz woanders hin zu fahren. In dem Moment, als sie wieder auf dem Fahrersitz saß, erschien noch einmal TU. Diesmal sah er uns nicht sofort, stieg aus und ging auf den Bus zu. Dann erblickte er unser Auto und kehrte laut fluchend in seins zurück. Nun fuhr er in die Parklücke neben unserem Fahrersitz, beide Männer starrten uns an und gaben sich ab und zu gegenseitig für uns unverständliche Handzeichen. Ein paar Augenblicke harrten wir noch aus, dann waren meine Überredungskünste schlicht nicht mehr vonnöten. Wir wollten nur hier weg. 

 

Nun bedeckte aber die Plane noch die gesamte Rückseite des Kombis - und um nichts in der Welt wäre eine von uns ausgestiegen und hätte sie entfernt. Meine Freundin entschied sich für volles Risiko und setzte rasant zurück, machte einen Schlenker und schoss über das Areal. Wir waren derweil so aufgeregt, dass wir nicht auf Anhieb eine Ausfahrt fanden. Dann aber sahen wir den Ausschnitt einer beleuchteten Straße und jagten darauf zu und hinaus in die Ortschaft. Nach ein paar Blocks bogen wir rechts ab und hielten wir an, um mit fliegenden Händen die Plane zu lösen. Der erste Knoten war geöffnet, da tauchte TU ein viertes Mal auf. Wir konnten den Mann selbst nicht sehen, aber das weiße Auto hätten wir überall erkannt. Er blieb einfach mitten auf der Straße stehen, die Scheinwerfer auf uns gerichtet. Kein Hupen, kein Aufröhren des Motors. Nur die Lichtkegel, die die Dunkelheit zerschnitten. Ich habe mich selten so gefürchtet und wage die Behauptung, dass es meiner Begleiterin ähnlich erging. Wir rissen die Plane einfach nur herunter und gaben einen feuchten Furz auf die Bänder. Ich nahm sie mit auf den Beifahrersitz, als wir in den Wagen sprangen und ziemlich verstört davonrasten. Meine Freundin ging erst wieder vom Gas, als wir die Grenze nach Belgien überquert hatten. Auf einem Rastplatz hielten wir kurz, entschieden aber, dass es hier nun erst recht zu abgelegen für uns sei. So haben wir haben tatsächlich den ganzen Weg bis zur deutsch-luxemburgischen Grenze in Wasserbillig noch zurückgelegt und fielen erst auf dem zugehörigen Autobahnrastplatz in einen unruhigen und kurzen Schlaf.

 

Fähre zwischen Wasserbillig und Oberbillig
Fähre zwischen Wasserbillig und Oberbillig

Bei Sonnenaufgang am nächsten Morgen und an dieser stark bevölkerten Raststätte konnten wir über die nächtliche Episode halbwegs wieder lachen. Außerdem hatten wir Hunger und Lust auf einen ruhigeren Ort. Zunächst fuhren wir einen Supermarkt an. Walnuss-Salami am Stück und Brötchen schienen angemessen. Dann nahmen wir für unschlagbare 70 Cent die Fähre von Wasserbillig in Luxemburg über die Mosel ins deutsche Oberbillig. Mit Blick über den Fluss hinweg steckten wir die Füße ins Wasser und frühstückten. Irgendwann hatten wir dem Rätselraten rund um TU nichts mehr hinzuzufügen und wir konnten uns an dem Anblick der beiden hübschen Städtchen widmen, der sich vor uns ausbreitete. 

 

Uns gegenüber, in Wasserbillig, mündete die Sauer in die Mosel. Wo heute der Zug den kleineren Fluss überquert, hatten einst auch schon die Römer eine Brücke gebaut. Im ersten Jahrhundert betrieben sie hier einen strategisch wichtigen Handelshafen und Warenumschlagplatz namens Biliacum. Oberbillig ist eine quasi gleich alte Siedlung, es wurde erstmals im Jahr 965 unter dem Namen Billich erwähnt. Die beiden Orte waren zwar stets durch die Mosel getrennt, sich aber von jeher in Freundschaft verbunden. Im Laufe ihrer Geschichte bildeten sie sogar einmal für volle 56 Jahre eine einzige Kirchengemeinde - was den Fährmann zum zweitwichtigsten Mann nach dem Pfarrer machte.

 

Uferstraße in Oberbillig
Uferstraße in Oberbillig

Was mir vor allem auffiel, war wie bunt diese Städtchen waren. Farbenfroh lugten die Häuser über kleine Hügel und sattgrünen Wiesen hervor. Das - und die Salami - sorgten für den ersten Schwung guter Laune an diesem Morgen. Dann kam auch noch die Sonne hervor und rundete unser erstes richtiges zur Ruhe kommen auf diesem Trip ab. Als wir zum Hafen aufbrachen, hielt uns noch ein Haufen Schwäne, Gänse und Enten auf. Zu unserem großen Entzücken fraßen sie uns aus der Hand. So hatte sich das mit dem Proviant für den Rückweg dann auch schnell erledigt, aber wir waren nicht böse darum, unterwegs dann eben für Burger anhalten zu müssen.

 

Die Fähre brachte uns sicher zurück nach Wasserbillig, und nun begaben wir uns auf den langen Weg zurück nach Niedersachsen - inklusive Mega-Stau bei der Durchquerung des Ruhrgebiets. Zum Glück gab es keine weiteren beunruhigenden Zwischenfälle mehr und wir kamen spät, aber wohlbehalten an. Manchmal rätseln wir noch heute darüber, was das auf dem Parkplatz in dieser Nacht wohl gewesen ist. Und fragen uns, ob wir mutiger hätten sein und diesen Mann hätten konfrontieren sollen. Allerdings kommen wir immer wieder zu dem Schluss, dass es eben doch das Klügste war, das Weite zu suchen und es nicht ganz genau wissen zu wollen. Gruselig war es allemal, und es schreit nicht nach Wiederholung.

 



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