Big Bear


Bären-Souvenir
Bären-Souvenir

Heute wäre mein Papa 76 Jahre alt geworden. Seit 2004 lebt er nicht mehr - und das ist immer noch schwer vorstellbar, war er doch so ein großer und starker Mann. Als wir in Kanada lebten, war sein Spitzname Big Bear, und zwar nicht wegen seiner immensen Körpergröße, sondern weil er tatsächlich Bären verjagen konnte. Ein Talent, von dem er nichts ahnte, bis ich als Fünfjährige tatsächlich mal auf einen traf. 

 

Wir waren in einem Dorf namens Novar - wenn man 20 Blockhütten, eine Feuerstelle und ein paar Mülltonnen mitten im Wald ein Dorf nennen kann. Hier wollten wir zusammen mit den besten Freunden meiner Eltern und deren Kindern eine Woche verbringen. Bereits vorab hatten Einheimische uns davon in Kenntnis gesetzt, dass nachts die Grizzlybären an den Mülltonnen nach Essbarem suchen und man sich nach Einbruch der Dunkelheit besser nicht draußen aufhalten sollte. Übrigens auch ein lustiger Zufall, dass die Region, in der meine Gast-Eltern in Italien wohnen, Novara heißt.

 

Der Sohn der Freunde meiner Eltern hieß Dominik und war einer meiner besten Kumpels in Kindertagen. Als wir die Warnung hörten, wurden wir ganz aufgeregt. Endlich mal Bären sehen, von denen wir schon so viel in Vorschule gehört hatten. Dort wurde uns beigebracht, wie man sich bei verschiedenen Begegnungen mit Wildtieren verhält - und der Grizzly war unser erklärter Liebling, allen Gefahren zum Trotz. Wir schmiedeten den Plan, lange aufzubleiben und wenigstens vom Fenster aus einen Blick zu riskieren.

 

Da wir eine lange Anreise mit dem Auto hinter uns hatten, waren die Erwachsenen auch entsprechend früh müde. Sie steckten uns ins Bett und gingen selbst schlafen. Aber Dominik und ich blieben heimlich auf, klemmten uns hinter die Fensterbank und warteten ab. Und nach gar nicht allzu langer Zeit erschien auch wirklich ein Bär an der beleuchteten Feuerstelle, und zwar ein niedliches und verspieltes Baby. Das war so süß, dass wir sofort das größte aller Risiken vergaßen, obwohl es uns immer und immer wieder eingebleut worden war: Wo das Baby ist, da ist Mama Bär nicht weit.

 

Wir taperten zur Tür und traten auf die Veranda. Als wir noch ein paar Schritte auf die Wiese taten, richtete das Kleine sich auf - und erschien plötzlich gar nicht mehr so putzig. Einen Wimpernschlag später brach das Muttertier aus dem Unterholz. Das Geräusch, das sie dabei machte, kann ich nur als furchterregend beschreiben. Wir rannten los, zurück in die Sicherheit der Blockhütte.

 

Die Tür fiel hinter uns zu und wurde nur Sekunden später von dem Bär gerammt. Das Wackeln der Wände weckte nun auch die Erwachsenen. In wilder Panik versuchten wir zu erklären, was passiert war, aber mein Papa durchschaute die Situation sofort. Allerdings nahm er sich noch Zeit, seinen Stetson und seine Cowboystiefel anzuziehen, bevor er das Gewehr nahm und sich zur Hintertür begab. Dieses Bild hat sich für immer in meine Netzhaut gebrannt und bringt mich heute noch zum Lachen. Schiesser-Feinripp, Bademantel, Stiefel, Hut und Flinte - großes Kino war das. Als er draußen hinter der Hütte war, schoss er drei Mal in die Luft und die Tiere trollten sich. Er kam unverletzt und als erfolgreicher Bären-Vertreiber zurück.

 

Das ist aber nur eine der vielen Erinnerungen, die ich an meinen Papa habe. Er gab mir auch meinen ersten Fotoapparat, und zwar bereits als ich drei war. Er wollte seine eigene Leidenschaft an sein Kind weitergeben und ging schon früh mit mir auf Foto-Touren. Dabei übte er nie Druck aus, sondern verließ sich auf meine kindliche Neugier. Er hat nie gesehen, was ich am Ende daraus gemacht habe. Mein erstes Buch ist ihm gewidmet, aber miterlebt hat er das nicht mehr. Das macht mich manchmal sehr traurig.

 

Eine andere Reminiszenz, die ich sehr liebe, hat mit Bruce Springsteen zu tun. Ich fuhr einmal mit meinem Vater von New York mit dem Auto nach New Jersey und im Radio steckte eine 90-Minuten-Kassette, auf der ausschließlich "Jersey Girl" war. Ich saß auf dem Vordersitz, damals noch kein Problem, und auf dem ganzen Weg sangen wir aus tiefstem Herzen mit. Wenn ich heute die ersten drei Takte davon höre, sehe ich sofort meinen lachenden und singenden Papa vor mir. Allein dafür bleibt es für alle Zeiten eines meiner Lieblingslieder - und zwar in dieser Version.

 

 

Musik spielte eine große Rolle für meinen Vater, und er liebte es zu tanzen. Er rühmte sich zeitlebens damit, einmal mit Romy Schneider eine flotte Sohle hingelegt zu haben - unter den Augen ihrer gestrengen Mutter Magda. Außerdem war er einmal von Gelsenkirchen bis nach Bremen tagelang gelaufen, um bei einem Konzert von Elvis die Hüften zu schwingen. Mit mir tanzte er auch. Erst lag ich als Baby in seinem einem Arm, während der andere um meine Mama lag. Später stand ich auf seinen Füßen zwischen meinen Eltern, während sie sich im Takt wiegten. Zu Weihnachten gehörte immer ein flotter Schwof dazu. Und natürlich bekam ich auf meiner Hochzeit den Vater-Tochter-Tanz. 

 

Ich vermisse meinen Papa, ich war noch nicht bereit, meinen weiteren Weg ohne ihn zu gehen, als er so unerwartet starb und plötzlich einfach nicht mehr da war. Viele Jahre danach fand ich mich selbst in einem Stück von Luther Vandross: "Wenn ich einen letzten Blick stehlen könnte, einen letzten Schritt, einen letzten Tanz - ich würde ein Lied spielen, das nie endet. Wie würde ich es lieben, nochmal mit meinem Vater zu tanzen."

 



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