Liebesbrief an meine drei Ms


Verbania
Verbania

Die Arbeit an dem Buch über den See befindet sich in der Endphase. Der Weg dahin war meistens super - und hin und wieder gab es unerwartete Wolken am Horizont. Die drei Frauen, die ich gleich vorstellen möchte, waren nicht von Anfang an dabei, sondern gesellten sich erst später auf meinen Pfad. Zunächst habe ich mit drei anderen Leuten zusammen gearbeitet, einem zweiten Fotografen, jemandem für das Graphik Design und einem Autor. Mit der Zeit habe ich mich von einem nach dem anderen getrennt. Das war nie eine einfache Entscheidung und jedes Mal war die Konsequenz eine zerbrochene Freundschaft, weil bei so etwas eben auf allen Seiten Gefühle verletzt werden. Als erster verabschiedete sich der zweite Fotograf. Ich nehme meine Arbeit ernst, auch dann, wenn sie zunächst nicht einen Cent einbringt. Wenn mein Gegenüber das nicht tut, können wir nichts gemeinsam erschaffen. Bis so ein Manuskript steht, investiert man erstmal nur. Vor allem Zeit. In diesem Fall auch Reisekosten und Körperkraft. Man betreibt viel Recherche und Korrespondenz. Und gerade dafür brauchte ich jemanden, der sowohl fließend Deutsch als auch Italienisch spricht.

 

Der erste, der das konnte, sollte eigentlich auch die Texte zu dem Buch schreiben - dass ich das mache war gar nicht geplant. Mein Beitrag sollte aus Fotografie und Recherche bestehen. Als erstes vernachlässigte er die Übersetzungen - notwendige Schreiben für Genehmigungen und dergleichen mehr verzögerten sich maßgeblich und es musste eine Lösung her. Ich sprach darüber mit einer Freundin, die wiederum jemanden in Turin kannte. Eine Frau namens Mary, die mehrsprachig ist und eine besondere Liebe für Deutschland empfindet und Germanistik studiert hatte. Sie verkuppelte uns über facebook. Ich hatte wenig Hoffnung, dass sich eine so kluge und studierte Frau darauf einlassen würde, an etwas mit einer Fremden arbeiten, das ihr vermutlich gar nichts bedeutet. Außerdem hat die Sache einen nicht unerheblichen Haken. Man wird dafür erst bezahlt, wenn sich das Buch auch tatsächlich verkauft. Das geht allen so, die zu unserem Team gehören.

 

Zu meiner Überraschung war Mary aber schon wild entschlossen, an dem Projekt beteiligt sein zu wollen und schrieb mir mit echter Begeisterung eine Antwort auf meine Nachricht. Sie freute sich darauf, Ihre Deutschkenntnisse einzusetzen und war bereit, das Risiko zu tragen, ohne Profit auszugehen. Ohnehin sieht sie ihren persönlichen Gewinn an anderer Stelle als in Einnahmen. Und ich muss in aller Deutlichkeit sagen: als sie mit ins Boot kam, konnte erst die eigentliche Arbeit beginnen - alles mit den anderen dreien vorher war es nur ergebnisloses Bla Bla und schrecklich viel heiße Luft.

 

Mary aber war sofort auf Volldampf voraus. Neben ihrem Job in einem Büro, ihrem eigenen Blog, einen Nebenjob als Autorin für Berlino Cacio e Pepe und den Aufgaben als Ehefrau übersetzte sie nun, was das Zeug hielt und schrieb seitenweise e-mails an alle, die auf Italienisch angesprochen werden mussten. Und zack, zack, zack flogen die Genehmigungen nur so ins Haus und ich konnte die gemeinsame Reise mit dem Autor im Sommer 2014 planen und exklusive Besichtigungstermine abmachen. Zwei Wochen vor der Abfahrt sagte der Herr ab. Nun stand ich ohne den Begleiter da, der die Landessprache beherrschte. Hierfür erbot sich Mary in der Sekunde, in der sie das erfuhr. Zum Glück konnte ich die Termine aber in Englisch abarbeiten und so musste ich nicht noch mehr ihrer Zeit stehlen.

 

Dennoch kam sie auf eigene Kosten mit ihrem Mann an den See, damit wir uns auch mal von Angesicht zu Angesicht gegenüberstehen können. Es war nicht wirklich verblüffend festzustellen, dass sie die Art Mensch ist, in die ich mich immer augenblicklich verliebe. Weltoffen, großherzig, kreativ, rebellisch, produktiv. Mit einem großen unzerstörbaren Lebenstraum im Herzen und genug im Kopf, um ihm nicht vollkommen blind zu folgen. Wir waren auf den ersten Blick ein Herz und eine Seele. Das ist bisher auch so geblieben. Wir schreiben uns unablässig mehrmals die Woche. Wenn es Entscheidungen bezüglich des Projektes zu besprechen gab, war sie fortan meine erste Ansprechpartnerin und immer eine wohl überlegte und aufrichtige Beraterin. 

 

Kurz nach dieser Reise und dem Abschied von dem eigentlichen Autor traf ich bei facebook auf Maria. Wir waren die einzigen beiden deutschen Mitglieder in einer Gruppe, die sich mit dem Lago Maggiore befasst und kamen so unweigerlich ins virtuelle Gespräch. Sie teilt die Liebe zum See mit mir, ist mir aber an Reiseerfahrungen weit voraus. Seit sage und schreibe 48 Jahren ist sie mindestens einmal jährlich dort und spricht natürlich auch Italienisch. Uns verband dennoch das gemeinsame Interesse an der Umgebung, die Sehnsucht nach südlicher Sonne und das Vermissen der Brandung. 

 

Sie bot von sich aus ihre Hilfe bei dem Buch an - und ich kam recht schnell darauf zurück. Zunächst ließ sie mich an ihrem eigenen Wissen über verschiedene Landstriche rund um unser Lieblings-Gewässer teilhaben, und dann tauchte sie immer tiefer ein in die Welt der Recherche. Die meisten Quellen sind nämlich nicht in Englisch oder Deutsch verfasst, und ich konnte Mary nicht neben Korrespondenz und Übersetzung aller anfallenden Texte auch noch damit ersticken. Also banden wir Maria nach und nach immer mehr mit ein und Dank ihres unermüdlichen Einsatzes ging vieles sehr viel schneller als befürchtet.

 

Bisher haben wir uns noch nie getroffen, aber ich kann mich trotzdem ohne Weiteres immer auf sie verlassen. Wir telefonieren viel, erzählen uns gegenseitig unsere schönen Geschichten und unsere Dramen. Wenn es um Informationen geht, arbeitet sie schnell und zuverlässig wie ein Uhrwerk. Aufgrund meiner Erfahrungen mit meinem ersten Buch habe ich anfangs alles gegengeprüft, was sie mir an Erkenntnissen mitteilte - aber das stellte sich ausnahmslos immer als überflüssig heraus, weil sie das selbst auch stets tut, bevor sie mir etwas mitteilt.

 

Darüber hinaus ist sie ein sehr beeindruckender und starker Mensch. Ich verrate kein Geheimnis, wenn ich Euch erzähle, dass sie eine der Leidtragenden des Contergan-Skandals ist und körperliche Beeinträchtigungen in Kauf nehmen muss. Aber sie ist furchtlos und hart im Nehmen. Sie lebt nicht nur allein und sorgt für sich selbst, sondern war auch jahrzehntelang in einem regulären Beruf tätig und reist ohne Begleitung durch die Voralpenlandschaft rund um den See. Sie kocht die wildesten Gerichte und erschafft Keramiken. Sie hat sich beigebracht, die Dinge, die sie nicht mit den Armen verrichten kann, mit den Füßen zu tun. 

 

Obendrauf hat sie sich ein Herz aus Gold und ein freundliches Wesen bewahrt, sie ist selbstbewusst und kein Stück schüchtern. Wir haben derweil gemeinsame Bekannte am See - und wer über sie redet, weiß nur Gutes zu berichten. Mehr als einmal bezeichnete man sie als eine ungebändigte Naturgewalt. Ich mag sie so sehr, weil sie sich nicht von ihrem Handicap diktieren lässt, wie sie zu leben hat und weil sie sich über von anderen gesteckte Grenzen einfach hinwegsetzt. Das bewundere ich zutiefst.

 

Fortan gab es eine kleine Online-Gemeinschaft bestehend aus Mary, Maria, der damals auch noch involvierten Graphik Designerin und mir. Die beiden Ms und ich entwarfen gemeinsam ein neues Konzept, ich schrieb die ersten Texte und das erste Layout eines Kapitels wurde gemacht. Dann stand noch eine weitere Reise an. Für die hatte ich einen Termin in einer uralten Villa, die noch weitestgehend im Originalzustand erhalten war. Die Hausherrin konnte aber leider ausschließlich italienisch und weder Mary noch Maria waren zu dieser Zeit auch nur in der Nähe des Sees. 

 

An dieser Stelle kam Mickey ins Spiel. Wir hatten über die Homepage von Couchsurfing Kontakt und sie hatte sich erboten, mir Arona zu zeigen. Da ihre Englischkenntnisse mir sehr gut erschienen, fragte ich spontan, ob sie mich nicht bei dem Besichtigungstermin begleiten und dort übersetzen wolle. Als ich sie traf, eroberte sie mein Herz im Sturm. Eine sehr junge Frau mit wilden Haaren, elfengleichen Zügen und Rock'n'Roll im Blut. Mit einem breiten Grinsen wirbelte sie um mich herum und plauderte in astreinem New Yorker Englisch auf mich ein. 

 

In der Villa wurden wir zunächst allein gelassen, um uns einen ersten Eindruck machen und fotografieren zu können. Mickey war ganz verzaubert und wirkte wie eine staunende Alice im Wunderland. Dann wurde sie von der Hausherrin mit Beschlag belegt und machte sich seitenweise Notizen, die sie mir später übersetzt zukommen ließ. Eigentlich wollte ich die englische Fassung aller Texte selbst schreiben, aber ihr Sprachgebrauch ist wesentlich besser als meiner. Irgendwie frischer, weil sie ihn täglich einsetzt. Sie hatte nämlich die vergangenen zwei Jahre in den Vereinigten Staaten gelebt und befand sich in ihrer Heimatstadt nur auf Zwischenstation. Nach dem Sommer ging sie zum Studieren nach Großbritannien. 

 

Ich fragte sie, ob sie Interesse hätte, mit einzusteigen und sie sagte spontan zu. Seitdem bringt auch sie zuverlässig ihren Teil der Arbeit ein. Was übrigens in mehrerer Hinsicht großartig ist. Es läuft so: ich schicke den deutschen Text an Mary, sie schreibt dann die italienische Version. Diese bekommt Mickey und macht sich an die englische Fassung. Das macht es mir möglich, zu sehen, ob bestimmte Redewendungen richtig vom Deutschen ins Italienische transferiert wurden. Zum Glück passt das so gut wie immer, nur einmal kamen wir ein bisschen ins Stolpern. Es stellte sich heraus, dass die deutsche "Axt im Walde" der italienische "Elefant im Porzellanladen" ist, und das sorgte kurz für allgemeine Verwirrung. 

 

Auch mit Mickey stehe in regelmäßigem Kontakt, der über die gemeinsame Arbeit hinaus geht. Allerdings haben wir es bisher noch nicht geschafft, im wahren Leben alle gleichzeitig an einen Ort zu kommen. Doch die virtuelle Zusammenarbeit verläuft reibungslos. Wenn die eine gerade keine Zeit hat, die andere aber ihre Aufgabe übernehmen kann, wird das ohne mit der Wimper zu zucken gemacht. Alle halfen bei der schwierigen Bildauswahl und hielten nicht mit ihrer Meinung hinter den Berg. Als die Graphik Designerin uns verließ und ich deren Aufgabe übernahm, beteiligten sich auch daran alle, in dem sie meine Arbeit mit Argusaugen überprüften und Fehler ausmerzten. 

 

Was aber darüber hinaus außergewöhnlich bemerkenswert ist und mich immer wieder zu Tränen rührt, ist die Tatsache, dass sie so sehr an dieses Buch glauben, dass sie alle schon eigene Mittel hineingesteckt haben, wenn ein geplantes Kapitel an meinem mangelnden Kapital gescheitert wäre. Wenn es also hart auf hart ging, bewiesen diese Frauen ihre Loyalität zu dem Projekt, ihre Solidarität mit mir und ihren unbedingten Willen, aus meinem Traum eine Realität werden zu lassen. Und obwohl ich reden kann wie ein Wasserfall, habe ich keine Worte für das Gefühl, was dies in mir auslöst. Nur eins weiß ich zu sagen - ich werde es nicht vergessen. 

 

Ich könnte hiermit enden, aber ich möchte noch etwas hinzufügen. Einer meiner Helden, Kevin Smith, hat mal etwas großartiges gesagt - und hier passt es so wunderbar. Ich werde ihn nicht wörtlich wiedergeben, sondern mich auf den Gesamtsinn konzentrieren. Die vollständige Rede hänge ich als Video an, denn es ist auf jeden Fall ein Gewinn, sie mal gehört zu haben.

 

"Die Welt ist voller 'Warum?'. Du wirfst einen Stein und triffst jemandem mit 'Warum?'. Du gehst besser raus und findest 'Warum nicht?' Umgebe Dich selbst mit 'Warum nicht?'. Mit Leuten, die Dir helfen, Deine Träume wahr werden zu lassen, und Du machst das Gleiche für sie. Wir sitzen alle im selben Boot.

 

Es ist den Versuch wert. Wie Wayne Gretzky sagte: 'Du verpasst hundert Prozent der Chancen, die Du nicht ergreifst.' Weißt Du, ich spreche über künstlerischen Scheiß. Einfach alles, das nicht 'wir müssen das machen, weil es Teil des Jobs ist' oder 'dies wird viel Geld bringen' ist. Irgend etwas, das Du nur machst, um zu sehen, ob Du es kannst.

 

Lebe ein 'Warum nicht?'-Leben, denn wir werden alle schreiend sterben. Stell also sicher, dass Du völlig erfüllt bist, wenn Du schreiend stirbst. Dass Du weißt: 'Ich habe alle Chancen ergriffen. Ich habe es getan. Ich habe nach allem gegriffen, was ich wollte oder es wenigstens versucht.' Es ist es immer den Versuch wert."

 

Ich bin zutiefst dankbar für diese Damen, die aus dem Nirgendwo in meinem Leben auftauchten und mein "Warum nicht?" wurden - und ich liebe sie.




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