Brachland - die Ruinen von Caldè


Blick nach Caldè vom Punta Granelli in Castelvaccana
Blick nach Caldè vom Punta Granelli in Castelvaccana

Caldè ist ein winziger pittoresker Ort, der inzwischen zu der Stadt Castelveccana gehört. Obwohl er so klein ist, spielt er in der Geschichte des Sees eine Rolle - zunächst als Militärstützpunkt, später als Standort der Industrie. Die Historie der alten Kalkbrennerei liegt allerdings weitestgehend im Dunkeln. So genaue Informationen zu bekommen, dass ich sie drucken könnte, erwies sich als unmöglich. Daher habe ich mich in dem Buch, an dem ich arbeite darauf beschränkt, von meinem Aufstieg auf den 373 Meter hohen Hausberg zu erzählen und Fotos von der Ruine als Wegbeschreibung mit einzuarbeiten. Das heißt leider, dass ich Euch das ein oder andere Bild vorenthalten muss. Insbesondere die Innenansichten der Hochöfen und Kessel. Aber ich kann das erzählen, was ich im Buch zu Gunsten der Genauigkeit auslassen musste.

 

Historisch belegt ist, dass sich auf dem gleichnamigen Berg einst die Festung Rocca di Caldè befand. Doch schon an der Frage, wer sie wann genau errichten ließ, scheiden sich die Geister. Sie wurde irgendwann im Mittelalter gebaut und bereits 1513 während der Italienischen Kriege von den Schweizern fast vollständig zerstört, so viel ist klar. Geblieben sind heute die Reste einiger Grundmauern, eine einzelne Kanone und die im 13ten Jahrhundert erbaute Kirche Chiesa di Santa Veronica. Anstelle der stolzen Festung thront nun ein Leuchtturm auf dem Gipfel, der dem Andenken der Gefallenen aller Kriege gewidmet ist.

 

Die verwaisten Hochöfen
Die verwaisten Hochöfen

Von der Zerstörung der Rocca bis zum Zeitalter der Industrialisierung war es vermutlich ruhig um das Dorf - zumindest gibt es keine Aufzeichnungen über besondere Vorkommnisse, außer denen, die auch den Rest der Nation betrafen. Wann die Kalkbrennerei mit dem klangvollen Namen Fornaci di Caldè eröffnet wurde, kann ich beim besten Willen nicht sagen. Stillgelegt wurde sie vor 50 bis 70 Jahren, da variieren die Angaben der Einheimischen. Anhand der Größe der Ruine kann man leicht davon ausgehen, dass sie in aktiven Zeiten einer der wichtigsten Arbeitgeber am See war. Ungefähr zeitgleich schloss auch die zweite große Kalkbrennerei am lombardischen Ufer des Sees, ein paar Kilometer westlich in Ispra.  Es liegt nahe, anzunehmen, das beides mit dem Zweiten Weltkrieg und seinen Folgen zusammenhängt.

 

Heute bestechen die Fornaci di Caldè vor allem dadurch, dass sie zumeist von der Natur zurückerobert wurden. Es gibt noch fünf Gebäude in verschiedenen Stadien des Verfalls, die auf den ersten Blick als solche zu erkennen sind: einen kleinen Turm, die Hochöfen, die Kessel, ein kleines Wohnhaus und eine Halle, deren Zweck ich nicht bestimmen kann. Alles andere ist längst entweder zum größten Teil eingestürzt und so mit Pflanzen überwuchert, dass man erst einmal gar nicht wahrnimmt, woran man gerade vorbei marschiert. Ganz am Ende des Geländes findet man noch eine Außenmauer, an der eine Treppe zum See hinab führt. Diese endet gut drei Meter über dem Wasser, in dem einsam und allein ein Torbogen steht und den Wellen trotzt. 

 

Kalk-Bruchkanten über dem ehemaligen Betrieb
Kalk-Bruchkanten über dem ehemaligen Betrieb

Dem Berg selbst sieht man den Raubbau noch an, der an ihm betrieben wurde. Auf der zum See gerichteten Seite ragen steile Bruchkanten nach oben und scheinen sich an manchen Stellen bedrohlich über einem zu neigen. Auf einem Viertel seiner Höhe ist die oben erwähnte Kirche zu finden. An anderer Stelle wurde eine Straße in den Fels getrieben, um die abgeschlagenen Gesteinsblöcke besser transportieren zu können. Beides bietet wunderschöne Aussichtspunkte. An der Straße stößt man auch auf die Überreste des Gebäudes, in dem die letzte Kanone der einstigen Festung steht - aber man muss ganz genau hinschauen, um die offene Tür nicht im Dickicht drumherum zu übersehen. Diese Straße führt übrigens nicht zu dem Leuchtturm auf dem Gipfel, sondern nur von einem Punkt am Ufer zu einem anderen. Sie ist auch nicht asphaltiert, es handelt sich vielmehr um eine Plattform mit zwei Fahrrillen. Ich erwähne das, um die Illusion zu vermeiden, man könne da gemütlich in Sandalen spazieren gehen. Festes Schuhwerk ist Pflicht, sobald man sich hier in die Höhe begibt.

Schönster Pool der Welt
Schönster Pool der Welt

Caldè ist nicht nur einer meiner Lieblings-Abenteuerspielplätze. Es ist auch einer der schönsten Badeorte am See. Der Berg setzt sich unter der Oberfläche noch sechzig Meter bis an den Grund fort, so ist die Wassertemperatur auch an brüllend heißen Tagen angenehm kühl. Im Sommer hängt immer der Duft von Gegrilltem in der Luft - da es keine Pizzeria im Ort gibt, ist hier Selbstversorgung angesagt. Obwohl relativ viele Leute hier sind, geht alles recht zwanglos vonstatten. Es kann passieren, dass einem ein schöner nackter Italiener einen Joint anbietet, Ehrenwort. Der will auch nichts Böses, der mag nur keine Bräunungsstreifen am seinem eisern gestählten Körper haben und teilt gern. 

 

Die allgemeine Lockerheit mag daran liegen, dass jeder, der sich hier aufhält in diesem Moment ein Gesetzesbrecher ist. Man befindet sich auf privatem Grund und begeht eigentlich Hausfriedensbruch. Die Polizei stört sich daran nicht, solange der Besitzer keine Anzeige erstattet - und solange sie nicht mit Rettungskräften anrücken müssen, weil man sich dort verletzt hat. Das hätte sicherlich rechtliche Konsequenzen, die man sich gern ersparen würde. Nicht nur deshalb sollte man in und um die Ruine von Caldè ein bisschen besser auf sich aufpassen als sowieso schon. Es ist auch einfach ein gefährliches Terrain. Fünf Dinge muss man wissen und beachten, wenn der Tag nicht dramatisch enden soll.

 

- Leiter-, Treppen- und Mauerreste sind nur Deine Freunde, wenn sie wirklich stabil sind. Teste sie, bevor Du darauf steigst.

- Dinge, die in Gebäuden auf dem Boden liegen, können Dich in darunter versteckte Löcher locken. Lauf drumherum statt drauf zu treten.

- In den warmen dunklen Kellern pflanzen sich Vipern fort. Trage dort immer lange Hosen und Schuhe mit Schaft.

- Auf dem Berg ist der letzte halbe Meter vor der Bruchkante das Limit. Halt Dich von ihm fern, dann ist ein Stolpern nicht potentiell tödlich.

- Unter Wasser lauern aus dem Felsen ragend Rückenbrecher und aus 60 Metern Tiefe holt Dich niemand raus. Sein kein Idiot, der aus verfallenen Gebäuderesten in den See springt. 



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