Daheim im falschen Land


Heimatgefühl?
Heimatgefühl?

Dreht Euch eine Zigarette, stellt Euch eine Drink bereit und richtet Euch auf einen langen Text ein. So zumindest fürchte ich. Mir wurde vor einigen Tagen geschrieben, meine Offenheit und Ehrlichkeit in meinen Texten würde geschätzt. Dies wird mir hierzulande wirklich nicht oft gesagt. Im Allgemeinen scheine ich mit meiner Art meine Landsleute nach relativ kurzer Zeit eher abzuschrecken. Eine Erfahrung, die ich zum Glück nicht überall machte, wo ich mich aufhielt. Das hätte ich gar nicht ausgehalten. Jedenfalls inspirierte mich dieser kleine Nachrichtenaustausch dazu aufzuschreiben, was ich sonst gerne mal für mich behalte, wenn ich mein Gegenüber nicht kenne. Das Gefühl, nicht dazu zu gehören. Zu dem, was offiziell meine Heimat sein sollte.

 

Ich habe die ersten Jahre meines Lebens in Kanada verbracht und meine Eltern stammen je aus der Bundesrepublik und Polen, aber ich bin eine Deutsche. Mein Personalausweis sagt es so, in diesem Land wurde ich geboren, hier verbrachte ich seit dem Alter von acht den größten Teil meines Lebens. Die Sprache finde ich sehr poetisch und habe sie zu verwenden und schätzen gelernt. Viele großartige Einheimische kreuzten meinen Weg und manche von ihnen hinterließen deutliche Fußspuren auf meinem Weg. An die meisten von diesen Menschen, die mich heute nicht mehr begleiten, denke ich mit einem Lächeln zurück. Für diejenigen, die noch immer in meiner Nähe gehen, bin ich dankbar.

 

Dennoch komme ich mit den meisten meiner Landsleute eher schlecht zurecht - und das beruht auf Gegenseitigkeit. Ich empfinde die große Masse der Deutschen als zu reserviert, kontrolliert, verschlossen und unterkühlt. Sie wiederum halten mich für jemanden, der generell zu viel erzählt, obendrein auch noch sein Herz auf der Zunge trägt, seine Emotionen nicht im Griff hat und viel zu laut sein Glück einfordernd durchs Leben geht. Mir wurde hier von Anfang an viel Abneigung zuteil und das hat sich nie geändert. Wer glaubt, ich sei mir dessen nicht bewusst oder das pralle einfach an mir ab, befindet sich auf dem Holzweg.

 

Nun teilen viele Deutsche nicht die Eigenschaften derer, mit denen ich sie aus eigener Erfahrung am ehesten vergleichen kann. Das wären Kanadier, Polen, Engländer und jetzt auch Italiener - diejenigen, mit denen ich am meisten zu tun hatte. Diese vier scheint eine gewisse Grund-Höflichkeit zu einen. Man würde in aller Regel im täglichen Leben nie jemanden bloßstellen, denn das gehört sich schlicht nicht. Seine Abneigung gegen jemanden würde man nicht offen zur Schau tragen. Und wenn man das Gefühl hätte, dass man ein klärendes Gespräch braucht, führte man das hinter geschlossenen Türen und unter vier Augen.

 

Hier entspricht das nicht meinem Erleben. Die Holzhammer-Methode ist allzu oft das Mittel der Wahl. Die Umgebung, in der man den Hammer schwingt, spielt dabei ebenfalls häufig keine Rolle. Jedenfalls wenn man nicht befreundet ist. Hat man sich zunächst angefreundet - und dann sagt oder tut eine der Parteien etwas, das der anderen sauer aufstößt, sagt man erstmal einfach gar nichts. Aber man bereichert die Säure im Stillen - und hin und wieder bekommt das Gegenüber einen Spritzer ab. Wird das bemerkt, sucht man keinesfalls die unangenehme Konfrontation, sondern wählt den Rückzug. Erst trifft man sich nicht mehr miteinander, dann wird man nicht mehr zurück gerufen, schließlich verläuft die Freundschaft im Sande. Was man dem anderen nun genau angetan hat, wird nicht geklärt. Das unterliegt mangels Information der eigenen Interpretation der Dinge.

 

Auch das ist woanders eher nicht so. Die Freundschaften, die ich seit mehr als 25 Jahren mit Nicht-Einheimischen durchgehend führe, verdanken ihre lang andauernde Existenz vielen offenen Worten, die in Liebe ausgesprochen wurden statt sich gegenseitig einfach abzuhaken und zum Nächsten überzugehen. Und obwohl ich seit 32 Jahren fast immer in Deutschland lebe, ist meine längste hierzulande durchgehend anhaltende Freundschaft gerade mal zehn Jahre alt. Aber immerhin zählen wir noch. Im Großen und Ganzen jedenfalls bin ich in Deutschland deutlich einsamer als ich eigentlich sein möchte und an anderer Stelle wäre - ich wage einfach diese kühne Behauptung.

 

Ihr könnt Euch vorstellen, dass ich mir im Laufe der Zeit viele Gedanken über dieses Dilemma gemacht habe. Angefangen mit der Frage, ob es meine eigene Schuld oder die der meisten Deutschen ist, dass ich hierzulande ständig anecke. Wahrscheinlich gibt es da aber keine Schuld. Niemand kann aus seiner Haut, so ist es eben. Natürlich habe ich mich ebenfalls gefragt, ob ich grundsätzlich einfach unerträglich bin. Aber die Tatsache, dass ich woanders eher beliebt bin, widerspricht dieser These glücklicherweise. Ich kam zu dem Schluss, dass ich hier einfach nicht hergehöre. Auch nach Kanada und Polen passe ich nicht besonders gut, wie ich auf einigen Reisen dorthin festgestellt habe. Gerade was meine alte Heimat betrifft, war das eine herbe Enttäuschung, hatte ich mich doch jahrelang in Sehnsucht nach ihr vergangen. Aber die Realität brachte schon so manchen Träumer zurück auf den Teppich.

 

Früher habe ich England als eine echte Alternative betrachtet. Dort war man mir immer offen und freundlich begegnet. Außerdem teilte ich mit den Briten den Humor und die Königin. Mein früher Versuch, dorthin abzuwandern scheiterte aus verschiedenen Gründen. Aus heutiger Sicht ist das okay. Wie meine Mama zu sagen pflegt: "Nichts ist so schlecht, dass es nicht noch zu irgendwas gut wäre". Wenn es mich auf die Insel verschlagen hätte, wäre ich sicherlich nie an meinen geliebten See in Norditalien gereist. Den Menschenschlag, den ich da kennen lernte, habe ich ja bereits beschrieben - und im Moment glaube ich, dort meinen Stamm gefunden zu haben. 

 

Fast jeder da ist eine gnadenlose Quasselstrippe und über-emotional, fast alle setzen beim Erzählen sämtliche Gliedmaßen ein. Man hat Körperkontakt bei Unterhaltungen, erfährt drei Viertel einer Lebensgeschichte innerhalb einer Konversation - betrachtet das aber dennoch nicht als distanzlos. Der Humor der meisten ist abgrundtief schwarz und für mich zum Quietschen komisch. Außerdem ist diese Region voller kreativer Träumer und Menschen mit kleinen Verrücktheiten. Und entgegen meiner Erwartungshaltung gegenüber diesem katholischen Land gibt es hier viele Humanisten, Kirchen-Gegner und Querdenker. In dieser Umgebung falle ich nicht unangenehm auf und darf mich wohl in meiner Haut fühlen - und das ist unglaublich entlastend. Während ich mich in Deutschland häufig zurückziehe, kann ich mit vielen Italienern nicht nur sehr entspannt die sein, die ich eben bin. Man scheint mich auch genau wegen der Eigenschaften zu mögen, die mir unter meinen Landsleuten so viele Probleme bereiten. Dort bin ich nur allein, wenn ich es so will.

 

Die Zeit wird zeigen, was bei alltäglicher Betrachtung davon bleibt. Über kurz oder lang werde ich einen Weg finden, dort zumindest für eine Weile zu leben. Dann werde ich sehen, ob die Magie zwischen diesem See, seinen Menschen und mir nur eine Illusion ist. Sollte dem so sein, werde ich das natürlich - wenn auch schweren Herzens - überleben und herausfinden, wofür das dann gut war. Zum Glück betrachte ich mich selbst inzwischen als eine Art multinationales Mosaik. Die glänzendsten Bruchstücke darin sind das Beste aus den Ländern, mit denen ich mich langfristig beschäftigt habe. Vielleicht gibt es ja noch ein paar hinzuzufügen, von deren Sinn für mich ich bisher noch nichts ahne. 



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Kommentare: 2
  • #1

    Jürgen (Samstag, 13 Februar 2016 09:45)

    Es ist schwer zu beschreiben was ich empfinde wenn ich deine Texte lese...
    In jedem Fall bin ich total fasziniert und bewundere deine Art Gemütszustände dermaßen darzustellen das ich dich dabei vor mir in eben diesen sehen kann. Ein literarisches Talent eben, danke.

  • #2

    Schiff-Prinzessin (Samstag, 13 Februar 2016 10:14)

    Danke, lieber Jürgen. Für Deine stets freundlichen Worte - und dafür, dass Du und Deine liebe Frau mir nicht so begegnet wie die meisten Deutschen. Menschen wie Ihr macht es mir leichter.