Arcumeggia - oder wie man mit Kunst ein Dorf rettet


Kleines Künstlerparadies Arcumeggia
Kleines Künstlerparadies Arcumeggia

Arcumeggia ist ein kleiner und uralter Ort. Die erste Erwähnung geht auf die Zeit der Römer zurück, als die Siedlung noch Arx Media hieß. Hier existieren bereits seit Jahrhunderten geweihte Fresken, für die das Dorf weit über die Grenzen der Lombardei hinaus bekannt war. Dieser Umstand sollte in seiner weiteren Geschichte noch eine große Rolle spielen. Nach dem Zweiten Weltkrieg war es um Arcumeggia nicht gut bestellt - und so erging es der gesamten Region. Noch in den 20er Jahren hatte es einen großen Tourismus-Strom gegeben. Wer sich nicht leisten konnte, in den Luxushotels des Piemont auf der anderen Seite des Sees Urlaub zu machen, kam in die ärmere Lombardei und sicherte damit auch hier die Existenz der Einheimischen. Das ist übrigens heute wieder so. In den Nachkriegsjahren aber blieben die Reisenden aus, und auch in anderen Branchen gab es nicht viele Stellen zu vergeben. So war dieses antike Dorf dann auch Anfang der 50er von Abwanderung und Verfall bedroht. In Scharen zogen die Einwohner nach Mailand oder Turin, in der Hoffnung, in der Großstadt ihren Lebensunterhalt verdienen zu können. 

 

Das war der Zeitpunkt, zu dem man sich darauf besann, auch eine künstlerische Vergangenheit zu haben. Es wird mir aus den - meist natürlich auf italienisch verfassten - Quellen nicht ganz klar, ob nun der Bürgermeister des Ortes an den Tourismusverband der Provinz Varese herantrat oder umgekehrt. In jedem Fall ersannen sie gemeinsam einen bis dahin einzigartigen Plan zur Rettung der Dorfes. Im Jahr 1956 machte man Arcumeggia zum Sitz der Veranstaltung "Pittore in vacanza" ("Maler in Urlaub"). Man lud Künstler mit Rang und Namen ein, den Sommer hier zu verbringen und stellte ihnen die bereits verlassenen Häuser als Ferienwohnung und Ateliers zur Verfügung. Im Gegenzug wollte man von ihnen nur eines: ein Werk, das in den Straßen der Ortschaft seinen endgültigen Platz finden sollte.

 

"San Martino e il povero", Giuseppe Montanari, 1956
"San Martino e il povero", Giuseppe Montanari, 1956

Als einige der ersten von vielen folgten zum Beispiel Giuseppe Montanari und Francesco Menzio dem Ruf der idyllisch gelegenen Gemeinde. Es muss ein unglaublicher Sommer gewesen sein. Alle diese kreativen Geister an einem Platz. Wenn man wie ich außerhalb der Touristensaison erstmals durch die leeren engen Gassen wandelt, meint man fast, noch einen Hauch von ihnen zu spüren. Im Sommer ist das anders, es sind für meinen Geschmack dann einfach zu viele Menschen da. Aber ich hatte Glück, mir gehörte dieser Ort an einem sonnigen Vormittag Ende Oktober ganz allein. Es war nicht ein von Menschen gemachter Laut zu hören und mir begegnete keine Seele. So konnte ich die Magie dieses Platzes in aller Ruhe auf mich wirken lassen.

 

Ich war fast erschlagen von der Vielseitigkeit der Richtungen, die hier vertreten sind. Kein Gebäude, an dem nicht mindestens ein Meisterstück zu finden ist. Sogar die Kirche, der Kreuzgang und der Friedhof sind künstlerisch gestaltet worden. Die Themen sind vielfältig. Neben der allgegenwärtigen Religion finden sich Motive der Auswanderung, Portraits der Dorfbewohner und manches expressionistische Werk. Florales neben Darstellungen des Radsports. Heiligenbilder neben Gemälden von Kriegsdienstverweigerern. Man könnte das als chaotisch betrachten. Mir allerdings lag diese Sicht der Dinge fern. Mir war eher so als hätte man mich in der Mitte eines Schatzkästchens ausgesetzt und mir Zeit zum Stöbern geschenkt.

 

Zurück zur eigentlichen Geschichte. Am Ende des Sommers 1956 präsentierte man die neu entstandene "Galleria all'aperto dell'affresco" in einer feierlichen Enthüllungszeremonie und Arcumeggia wurde offiziell zum ersten "Borgo Dipinti" Italiens erklärt. Der erste Begriff bedeutet "Fresken-Galerie im Freien", der zweite "Bemaltes Dorf".

 

"Bambini tra gli alberi", Francesco Menzio, 1956
"Bambini tra gli alberi", Francesco Menzio, 1956

Dabei allein beließ man es jedoch nicht. Im Jahr darauf richtete man eigens das "Casa del pittore" - das "Haus der Maler" - ein, um dort weiterhin Künstler aufnehmen zu können. Die Häuser, in denen man sie im legendären ersten Sommer untergebracht hatte, fanden neue Besitzer, als das Leben nach und nach in den Ort zurückkehrte. Noch heute wird dieses wundervolle Freilichtmuseum Stück für Stück erweitert. Das Straßenbild ändert sich immer wieder ein bisschen. Inzwischen leben hier 300 Einwohner ganzjährig und die Zahl der anwesenden Maler variiert - manche kehren wieder und wieder zurück, wie zum Beispiel Aligi Sassu es bis zu seinem Tod tat. Im Sommer haben die hier Ansässigen selten Ruhe, aber die Möglichkeit, sich ein gutes Zubrot zu verdienen. Es gibt geführte Touren, ein kleines Informationsbüro, das ein oder andere Bed & Breakfast und einige Restaurants.

 

Die grandiose Idee, die hier in Arcumeggia so erfolgreich umgesetzt wurde, fand natürlich weitere Nachahmer. So gibt es inzwischen eine große Zahl weiterer Dörfer, die das Konzept für sich adaptieren. In dem Zusammenhang sollte ich unbedingt Brenta erwähnen. Hier begann man 2012 mit einem ähnlichen Projekt. Anstelle von Gemälden handelt es sich dort um Mosaike - und die sind nicht weniger sehenswert.

 

Ich schließe mit einer Bildergalerie von meinem Herbsttag in Italiens erstem "Borgo Dipinti". Wenn ich Informationen über das jeweilige Gemälde habe, füge ich sie im Untertitel hinzu. Den Rest trage ich beizeiten noch nach.




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