Mein ganz eigenes Ferragosto


Reflektiert
Reflektiert

Bei Ferragosto handelt es sich um den ältesten noch in Italien begangenen europäischen Feiertag. Er geht zurück auf den Kaiser Augustus, der im Jahr 29 vor Christus Marcus Antonius und Kleopatra besiegte und dies vom 13ten bis zum 15ten August feierte. Heute begeht man den Feiertag am nur noch am 15ten - so dachte ich. Aber Italien wäre nicht Italien, hätte es nicht so manche Überraschung im Ärmel. In den Jahren zuvor hatte ich keine Gelegenheit, Ferragosto zu erleben. Ich musste immer ein paar Tage vorher abreisen, weil ich zu dem Zeitpunkt im Sommer immer ein Haus beaufsichtigte - und dessen wirkliche Bewohner kehrten stets ein paar Tage vorher zurück. Im Sommer 2015 habe ich erstmals Couchsurfing für mich entdeckt und konnte den Feiertag mit einplanen. Es fiel auch alles so schön günstig. Der Feiertag an einem Samstag. Den Sonntag nutzen, um den Kater auszukurieren. Und Montag mittag ganz entspannt zurück nach Deutschland fliegen, weil ich ja dann einen weiteren Punkt auf meiner Liste abgehakt haben würde. 

 

Vorab wurde ich darüber in Kenntnis gesetzt, dass die eigentlichen Feierlichkeiten erst kurz vor Sonnenuntergang beginnen würden. Man fände sich mit einem Grill oder einer Pizza am Strand ein und entzünde Lagerfeuer. Die Uferpromenaden seien allerorts gesäumt von Dutzenden kleiner Buden. Überall Bühnen mit Live-Musik. Wein in Strömen. Ein riesiges Feuerwerk über dem See nach Einbruch der Dunkelheit. Ich war total aufgeregt und habe dieses italienischste aller Feste herbei gesehnt. Übrigens ein sehr zwiespältiges Gefühl, markierte der Tag doch quasi auch meine baldige Abreise. Ich hasse es zutiefst, diesen Ort wieder zu verlassen. 

 

Blick von der Brücke
Blick von der Brücke

Meine geschätzte Schiffsmannschaft hatte mich eingeladen, den Tag mit ihnen an Bord zu begehen. Danach wollten sie mich an einem Hafen meiner Wahl entlang der Route absetzen, damit ich pünktlich an den Strand und zu der großen Sause käme. Mit dieser Erwartungshaltung machte ich mich am Morgen auf den Weg zum Hafen. Das Wetter war eher norddeutsch als mediterran. Was mir da um die Nase wehte glich einer steifen Hamburger Brise. Am weiten Himmel über dem See sah man aus der Ferne vom Wind vorwärts gepeitschte Regenwolken herannahen. Ich weiß noch, wie ich dachte: "Na, dann bin ja mal gespannt, wie die Italiener sich mit dem Regen wohl arrangieren werden..."

 

Wie sich herausstellte: gar nicht. Als ich an Bord ging, hatte der Kapitän nämlich recht große und unerwartete Neuigkeiten für mich. Wegen des schlechten Wetters seien alle Feierlichkeiten für den heutigen Tag abgesagt und auf den Abend des folgenden Montag verlegt worden. Im Klartext: man hat offiziell den Nationalfeiertag verschoben, um ihn nicht bei Regen begehen zu müssen. Diese Information musste ich erstmal verarbeiten. Nicht nur, dass dies in Deutschland vollkommen unmöglich wäre - nein, ich würde auch ein weiteres Mal Ferragosto verpassen. Das hätte mir die Petersilie verhageln können, aber der Kapitän hatte noch etwas hinzu zu fügen. "Wir haben uns die Freiheit genommen, ein kleines Fest für Dich arrangieren, damit Deine Enttäuschung nicht allzu bitter ist. Lass Dich überraschen."

 

Eine Auswahl der feinen Speisen zum Feiertag
Eine Auswahl der feinen Speisen zum Feiertag

Und dann haben die Herren aufgefahren. Nach der ersten Tour über den See gab es eine verlängerte Mittagspause mit einem ausgezeichneten Fünf-Gänge-Menü. Dem folgte eine gesangliche Meisterleistung des gesamten Teams. Sie hatten einen eigentlich grässlichen Schlager von Antonello Venditti aus der nahe liegenden Schublade geholt. Der Titel dieses Liedes ist nämlich mein Vorname. Beim Refrain grölte mir also ein begeisterter Chor uniformierter Männer meinen Namen entgegen, während ich hübsch auf meinem Stuhl thronte. Der Kracher! Ich habe Tränen gelacht. Und ich kann es offen zugeben, ich kam mir ganz schön cool dabei vor. Wie oft passiert einem sowas schon?

 

Man erklärte mich auch zum Steuermann ehrenhalber - was nicht bedeutet, dass ich de facto das Schiff gesteuert hätte. Es sollte eher dazu dienen, mir zu zeigen, dass ich nun "der sechste Mann" an Bord bin. Mit einem Grinsen machte der Kapitän noch klar, dass ich im Fall von Seenot damit nicht berechtigt sei, mich vor dem Rettungsboot zu drücken, um noch ein paar besonders spektakuläre Fotos zu machen. Da war ich wohl durchschaut worden, und darüber musste ich auch grinsen. Auf der anderen Seite des Sees gab es eine weitere kleine Pause. Während dieser erschien von Zauberhand noch eine Reihe von himmlischen Köstlichkeiten aus einer Pasticceria - in Deutschland wohl am ehesten mit einer Konditorei zu vergleichen. Der reinste Rausch aus Zuckerguss, kandierten Früchten, Sahne und Schokolade.

 

Blick von Deck
Blick von Deck

All das zwischen diversen Überfahrten, wenn keine Passagiere an Bord waren. Während der Touren saß ich brav auf meinem Platz auf der Brücke, hinter dem Kapitän und dem Steuermann, die es während der Arbeit nie an Ernsthaftigkeit mangeln ließen. Auch dabei habe ich viel Spaß, denn ich bin mir immer bewusst, dass es ein besonderer Aussichtspunkt ist, den ich da genießen darf. Ich fühle mich sehr geehrt, dort sein zu dürfen. Dementsprechend würde ich nie so respektlos sein, den Arbeitsablauf mit Albernheiten zu stören. Das darf man bei aller Ausgelassenheit nie aus den Augen verlieren. Aber es gab sowieso immer viel zu sehen, wenn ich gerade nicht mit Aufmerksamkeit überschüttet wurde. Inzwischen bahnte sich ein Sturm an, in weiter Ferne und geradezu in Zeitlupe auf uns zu kriechend. Ich bin immer völlig fasziniert davon, wie extrem die Ansicht der Landschaft sich mit dem Wetter verändert. Wenn ganze Gebirgsketten plötzlich scheinbar nicht mehr vorhanden sind - und sich ihre Umrisse doch immer weiter aus dem Nebel schälen, wenn das Schiff in voller Fahrt darauf zu ist. Wenn der Blick von Bord auf das bunt bebaute Festland aussieht wie eine alte Schwarz-Weiß-Fotografie - und Farbe nur in unmittelbarer Nähe existiert. Ich musste viel an meinen Vater denken, der das alles sehr geliebt hätte.

 

Ich hätte noch Stunden einfach an Deck stehen und auf den See schauen können. Doch auch die schönste Fahrt ist irgendwann zu Ende. Noch bevor das Unwetter uns erreichte und ordentlich hätte durchschütteln können, gingen wir an Land. Da wir alle dachten, dass jetzt für diesen Sommer Schluss sei und wir uns erst im Winter wiedersähen, war der folgende Abschied besonders ausschweifend. Der Kapitän erklärte, dass ich unter seinem Kommando allzeit an Bord willkommen sei. Alle Hände wurden geschüttelt, alle Wangen geküsst und beim Weggehen gewunken, bis fast der Arm abfiel. Mit mächtig gestärktem Ego machte ich mich nun zurück auf den Weg zum Haus meiner Gastgeber.

 

Suna
Suna

Auf dieser Strecke pflegte ich stets eine Pause an einem der zwei Strände in unmittelbarer Umgebung des Hauses zu machen. Da ich sowieso draußen rauchen musste, konnte ich das genauso gut direkt unten am See tun. Dass der Sturm inzwischen ganz nahe war, hinderte mich nur insofern, als dass mir nicht nur die Zigarette beinahe davon flog. Der Blick auf diese Wand aus Wolken allein allerdings war jede Minute wert, in der ich meinem Hut hinterher jagte, während meine Haare gen Himmel tanzten. Das hättet Ihr sehen sollen. Ein Bild für die Götter.

 

Als ich am darauf folgenden Montag abreiste, habe ich tatsächlich mal wieder die offiziellen Feierlichkeiten verpasst. Aber ich habe etwas Besseres bekommen, ohne mir diese Ehre wirklich verdient zu haben. Mein ganz persönliches und eigenes erstes Ferragosto. Von Menschen, denen ich genug am Herzen lag, dass sie keine Mühen scheuten, um aus einer anfänglichen Enttäuschung eine grandiose Gaudi raus zu hauen. Und die an meinem letzten Tag doch tatsächlich mit einer anderen Crew das Schiff und die Route tauschten, um mir bei der Abreise stilecht mit weißen Taschentüchern winken zu können. Ich werde nie vergessen, wie gemocht und geschätzt ich mich in diesen Momenten gefühlt habe. Diese Empfindung habe ich tief im Herzen konserviert. Für schlechte Zeiten.



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Kommentare: 2
  • #1

    Huebine@web.de (Sonntag, 31 Januar 2016 17:40)

    Ohne Worte, aber mit Pipi in den Augen. .....

  • #2

    Schiff-Prinzessin (Montag, 01 Februar 2016 17:23)

    Die hatte ich beim Erleben auch. Vor Rührung und vor Lachen. Es war ein wirklich besonderes Erlebnis. Ich werde diese Geschichte den Rest meines Lebens erzählen.